Der menschengemachte Klimawandel bedroht schon heute große Teile der Bevölkerung. In seinen Dimensionen überschreitet er die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und stellt gleichzeitig die medizinischen Erfolge der vergangenen hundert Jahre in Frage. Auf dem 125. Deutschen Ärztetag am 1. und 2. November hat das Thema deshalb höchste Priorität. Die MedizinerInnen senden damit zeitgleich mit den Klimaverhandlungen in Glasgow (COP26) ein klares Signal in die Koalitionsverhandlungen und die Öffentlichkeit.
Hitzewellen und andere extreme Wetterereignisse, neuartige Krankheitserreger, veränderte Vegetationszeiten mit verlängertem Pollenflug, Nahrungsunsicherheit – die Klimakrise wirkt sich auf viele Weisen negativ auf die Gesundheit aus. Trotzdem haben Politik und Gesellschaft bisher kaum auf diese Bedrohung reagiert. „Deutschland ist nicht ausreichend auf die Gefahren vorbereitet“, kritisiert Maike Voß von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Die Gesundheitswissenschaftlerin und KLUG-Geschäftsführerin präsentierte gestern einen „Policy Brief für Deutschland“, der parallel zu der jährlichen Bestandsaufnahme des internationalen Lancet-Countdown-Berichts veröffentlicht wurde.
Der gemeinsam von Bundesärztekammer und Charité, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Helmholzzentrum München und Lancet Countdown vorgestellte Report zeigt, dass nur wenige Kommunen und Kliniken die dringend notwendigen Hitzeaktionspläne, die schon seit vielen Jahren gefordert werden, umgesetzt haben. „Die Umsetzung muss auf kommunaler Ebene passieren, die Voraussetzungen dafür müssen aber Länder und Bund schaffen. Sie müssen durch Anpassung von Gesetzen dafür sorgen, dass Zuständigkeiten und Aufgaben klar sind“ sagt Martin Herrmann, Mediziner und Vorstandsvorsitzender von KLUG. Auch die hohen CO2-Emissionen des Gesundheitssystems (ca 5 Prozent des Gesamtausstoßes) seien nicht gesunken.u
In einem Beschlussantrag wird gefordert, dass das deutsche Gesundheitssystem bis 2035 klimaneutral sein soll. „Vorbild könnte der britische National Health Service sein“, erklärt Christian Schulz, Arzt und KLUG-Geschäftsführer. „Dort werden bereits große Anstrengungen unternommen, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.“ Die Reaktionen auf die Klimakrise müssten Teil der vom Präsidenten des Ärztetages, Klaus Reinhardt, geforderten „echten Strukturreformen im Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ sein.
In Punkt 11 eines Forderungskatalogs, den der Deutsche Ärztetag bezüglich dringend notweniger gesetzlicher Regelungen an die künftige Regierung stellt, heißt es deshalb „Die Klimakrise macht krank – Gesundheitswesen auf Folgen der Erderwärmung vorbereiten!“ Wie ernst die Lage ist und was unbedingt getan werden muss, werden Sylvia Hartmann, stellvertretende Vorsitzende von KLUG, und Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Ko-Leiterin der Abteilung für Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e. V. auf dem Ärztetag vortragen.