30. Januar 2019 Allgemein, Fachgesellschaften, Politik, Stellungnahmen

Blog: Der sogenannte Wissenschaftsstreit unter Lungenärzten über Luftverschmutzung

Eine Einordnung für die KLUG durch Dr.med. Dieter Lehmkuhl, stellvertretender Sprecher der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit.

In den letzten Tagen tobt in den Medien (bei tagesschau.de, ZDF, Hart aber Fair, Cicero, Bild und bei Anne Will) ein angeblicher „Wissenschaftsstreit unter Lungenfachärzten“ zu den gesundheitlichen Auswirkungen und den Grenzwerten von Feinstaub und NOx – nachdem der selbsternannte Experte und emeritierte Professor Dieter Köhler mit seinen Interviews und einer „Stellungnahme zur Gesundheitsgefährdung durch umweltbedingte Luftverschmutzung, insbesondere Feinstaub und Stickstoffverbindungen (NOx)“ große Medienresonanz ausgelöst hat.

Die Gruppe um den Lungenarzt Köhler ist klein: Etwas über 100 von 3.800 angeschriebenen Fachkolleg:innen haben seine Stellungnahme unterzeichnet. Weder Herr Köhler noch die anderen Unterzeichner des Papieres sind Experten auf dem komplexen Gebiet des Zusammenhangs von Luftschadstoffen und Gesundheit. Ihre Stellungnahme steht im Gegensatz zum jüngsten Positionspapier (11/2018) der eigenen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DPG), deren Präsident Köhler von 2005 bis 2007 war. Inzwischen widersprechen Lungenmedizin-Verbände international in einer gemeinsamen Stellungnahme der Europäischen Pulmologen-Gesellschaft und der vierzehn Repräsentanten des International Forum of Respiratory Societies (FIRS), dem weltweiten Zusammenschluss der führenden Gesellschaften für Lungengesundheit Köhlers Papier und fast täglich werden es mehr, die sich distanzieren oder kritisch äußern (s. Literaturhinweise).

Herr Köhler und seine Unterstützer stellen die konsistente und kohärente Evidenz von unzähligen Studien weltweit zu dem Thema sowie die Autorität der Weltgesundheitsorganisation WHO in Frage, ohne dass sie selbst die Voraussetzungen dafür besitzen, diese beurteilen zu können. Die Argumente werden nicht mit Literatur belegt. Die Autoren der Stellungnahme haben zu dem Thema bisher nicht veröffentlicht (außer einem [Meinungs-]beitrag von Köhler im September 2018 im nicht wissenschaftlichen Teil des Deutschen Ärzteblatts (DÄ), der nicht dem Peer-Review- verfahren unterlag und dem Prof. Joachim Heinrich vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität München im DÄ widersprach). Köhler und seine Unterstützer wählen den Weg über die Bildzeitung, um ihre Botschaft unter die Leute zu bringen. Offenbar ein Novum in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unter deutschen Medizinern. Die Pseudodebatte hat zu einer großen Verunsicherung der Bevölkerung und auch von Ärzt:innen beigetragen. Inzwischen klärt sich die Situation und der sogenannte Wissenschaftsstreit der deutschen Lungenärzte erweist sich (auch) als ganz offensichtlich interessengeleitete Debatte.

Die Autoren der Stellungnahme fordern eine „Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher“. Ihre Kritikpunkte an den Grenzwerten seien „so gravierend, dass im Sinne der Güterabwägung sogar die Rechtsvorschrift für die aktuellen Grenzwerte ausgesetzt werden sollte.“

Dabei hat zumindest einer der Mitautoren erhebliche Interessenkonflikte in Bezug auf das Thema, das sie beurteilen. So berichtete der Spiegel am 26. Januar 2019, dass zwei der vier Autoren des Positionspapieres gar keine Lungenärzte, sondern Ingenieure sind, darunter ein Entwickler von Dieselmotoren, der laut Spiegel zehn Jahre lang für Daimler gearbeitet habe, danach dem Verbrennungsmotor treu geblieben sei und sich mit Luftverschmutzung und der Nachrüstung von Dieselmotoren befasse.

Der von der WHO empfohlene Richtwert für Feinstaub (PM2.5) liegt dabei mit zehn Mikrogramm deutlich unter dem von der EU festgelegten (25 Mikrogramm), für NO2 ist er gleich. Sie orientieren sich an dem, was gesundheitlich vertretbar ist. Sie werden regelmäßig im Hinblick auf neue Evidenz durch unabhängige Institute überprüft. Grenzwerte werden politisch festgelegt und stellen einen Kompromiss zwischen gesundheitlichen Erfordernissen und meist wirtschaftlichen Interessen dar. Der sogenannte Wissenschaftsstreit erweist sich als ein von den Medien befeuerter Sturm im Wasserglas. Herr Köhler und seine Kollegen diskreditieren nicht nur seriöse Wissenschaft. Sie verharmlosen in sträflicher Weise die gesundheitlichen Gefahren der Luftverschmutzung.

Die Lancet Commission on pollution (2017) und die erste Konferenz der WHO im Herbst 2018 haben auf die bisher wohl erheblich unterschätzte gesundheitliche Gefahr der Luftverschmutzung hingewiesen. Diese gilt als „stiller Tod“ (silent killer, so die WHO) und es verdichten sich zunehmend die Hinweise, dass nicht nur Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen, sondern immer mehr weitere Krankheiten davon betroffen sind.

Dr. Eckart von Hirschhausen hat in einem lesenswerten Facebook-Eintrag  „Warum ich lieber die Abgase von Radfahrern einatme als von Autos“ – die wissenschaftlichen Fakten zur Luftverschmutzung verständlich zusammengefasst.

Herr Kollege Köhler hat, wie Experten urteilen, ein unterkomplexes Verständnis der Wissenschaft und der Methoden, die er kritisiert. Auch als Arzt hat man selbst kaum die Expertise, um das komplexe Thema Luftschadstoffe und Gesundheit beurteilen zu können. Das im November veröffentlichte Positionspapier Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit der DGP (S. 32-36) gibt einen guten Überblick über die gesundheitlichen Wirkungen von Luftschadstoffen (Toxikologie, Epidemiologie, Bewertung von identifizierten Zusammenhängen, den Environmental Burden of Disease (EBD)-Ansatz zu Abschätzung umweltbezogenen Krankheitslasten, Mortalität- kurzfristige und Langzeiteffekte), so dass man ein Grundverständnis für diesen komplexen Wissenschaftsbereich bekommen kann. Das Papier ist im Internet abrufbar.

Es stellt sich die Frage, auf wen wir und die Medien uns bei der Beurteilung komplexer wissenschaftlicher Zusammenhänge stützen können. Die derzeitige Diskussion und die mediale Resonanz sind aberwitzig. Ein offenbar inszenierter Pseudostreit weniger Außenseiter (der Prozentsatz der angefragten Lungenärzte, die unterzeichnet haben liegt bei drei Prozent – das entspricht etwa dem Prozentsatz der Klimaleugner in der Bevölkerung), wird medial gepusht, ohne dass die Medien die Seriosität der Argumentation überprüfen. Das wirft die Frage nach der journalistischen Sorgfaltspflicht und der Verantwortung der Medien auf. Meines Erachtens ist diese Debatte mindestens so sehr ein Problem der Medien und der Politik als des Herrn Köhler und seiner Gruppe von Unterstützern. So ist unser Verkehrsminister – als hätte er darauf gewartet – gleich auf den Zug aufgesprungen. Der Gesundheitsminister und die Forschungsministerin haben sich bisher noch nicht dazu geäußert. Damit leisten sie indirekt der Diskreditierung seriöser Wissenschaft Vorschub, die sie finanziert haben.

Die Debatte erinnert fatal an die zu Klimawandel und zur Schädlichkeit des Rauchens in den USA. Dort haben über Jahre von der Industrie bezahlte selbsternannte Experten den Klimawandel geleugnet und der Verharmlosung des Rauchens das Wort geredet. Die Medien haben dabei eine unrühmliche Rolle gespielt. Wir haben dadurch existenziell wichtige Zeit verloren, um der Klimakrise noch rechtzeitig begegnen zu können. Die jetzige Pseudodiskussion lenkt von einer umfassenden Verkehrswende ab, die notwendig ist, um uns und unsere Gesundheit vor den Folgen des Klimawandels und vor der Luftverschmutzung zu schützen. Wir sollten sie daher schleunigst beenden und uns den wirklich großen Herausforderungen stellen.

 

Literaturhinweise

DLF-Interview mit dem Schweizer Experten für Gesundheitsrisiken Nino Künzli: https://www.deutschlandfunk.de/lungenfachaerzte-gegen-feinstaubgrenzwerte.676.de.html?dram:article_id=439257

Gabor Steingart – Podcast (ab etwa min 18, 6 min lang): https://gaborsteingart.com/podcast/https-dasmorningbriefing-podigee-io-116-neue-episode

Charité Prof. Dr. Christian Witt über Feinstaub, Stickoxide und ihre Wirkung als Brandbeschleuniger: http://www.spiegel.de/auto/aktuell/stickoxide-co-autor-des-positionspapiers-ist-diesel-entwickler-a-1249946.html

„Lungenarzt widerspricht seinen Kollegen“ (Spiegel): http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/feinstaub-positionspapier-lungenarzt-widerspricht-seinen-kollegen-a-1249884.html

Köhler, Dieter: Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2): Eine kritische Bewertung der aktuellen Risikodiskussion:  https://www.aerzteblatt.de/archiv/200863

Heinrich, Joachim: Kommentar: Gesundheitliche Auswirkungen der Exposition von Feinstaub und NO2 – Grundlegende Missverständnisse:https://www.aerzteblatt.de/archiv/200814

Pressemitteilung des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Padiatrische Pneumologie (GPP): Debatte um Luftschadstoffe. Kinderpneumologen weisen auf die Gefahrdung von Luftschadstoffen hin.

Gemeinsame Stellungnahme zu Feinstaub und NOx der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DPHG), der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und der der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), s. Webseiten der beteiligten Fachgesellschaften