28. Oktober 2024 Allgemein

Impuls von Sabine Gabrysch für das 7-jährige Jubiläum von KLUG


Anlässlich unseres 7-jährigen Jubiläums hat Sabine Gabrysch – Gründungsmitglied von KLUG und Inhaberin der ersten Professur für Planetary Health – folgenden Text geschrieben, der auf der Feier vorgelesen wurde:

Mein Wunsch für die Zukunft und für KLUG dreht sich um Planetary Healing. Um das, was wir brauchen, um einen gesellschaftlichen und planetaren Heilungs­prozess einzuleiten. 

Ich gliedere das mal in Hirn, Herz und Hand, auch wenn es natürlich zusammengehört.

1. Umdenken: Weltbild als Wurzel

Mit „Hirn“ meine ich ein Umdenken, eine andere Sichtweise, ein neues Weltbild und Menschenbild, nämlich ein Bewusstsein von uns selbst als lebendige Wesen, die Teil eines größeren Ganzen sind, einer Gesellschaft, eines Ökosystems, unseres wunderbaren Planeten Erde.

Das gegenwärtig herrschende Weltbild fußt auf einer Illusion, einer Illusion der Getrenntheit, auf einer gedanklichen Abspaltung. Der Mensch wird als getrennt von anderen Lebewesen, als getrennt von „der Natur“ betrachtet. Und der menschliche Geist als getrennt vom Körper.   

Die Natur wird damit zum Objekt, das kontrolliert, manipuliert und beherrscht werden kann, ebenso wie andere Menschen und auch der eigene Körper. Im besten Fall mit dem hehren Ziel, die Welt zu verbessern, das Leben einfacher und sicherer zu machen. Allerdings oft auch gewaltsam und ausbeuterisch.

Der Versuch, die Welt unter Kontrolle zu bringen, verkehrt sich nun aber zunehmend in sein Gegenteil, in dem Maß wie der menschliche Einfluss immer größer wird und natürliche Grenzen der Pufferung erreicht sind. Die Welt gerät immer mehr außer Kontrolle, wird immer unsicherer, durch Klimakrise, Zerstörung von Ökosystemen, durch Zerstörung des gesell­­schaft­lichen Zusammenhalts und der Gesundheit. 

Unsere Gesundheit leidet dabei nicht nur unter den Kollateralschäden, den Neben­wirkungen des menschlichen Fortschritts­projekts auf andere Lebewesen und den Planeten als Ganzes, also den negativen Folgen von Klimawandel, Artensterben und Verschmutzung. Wir leiden auch unter den Haupt­wirkungen, unter dem eigentlichen Erfolg des Projekts. 

Dabei meine ich nicht nur ein Zuviel des Guten, wie Überernährung und Bewegungsmangel. Was ich meine, geht noch viel tiefer. Das Weltbild der Getrenntheit führt nicht nur zu einer gestörten Beziehung zur Natur, sondern auch zu einer gestörten Beziehung zu uns selbst. Es beraubt uns all dessen, was uns guttut und was wir als Menschen brauchen, nämlich Verbundenheit, Liebe, Schönheit, sinnvolle und kreative Tätigkeiten, usw. 

Wenn wir glauben, dass wir getrennt sind voneinander und von der Welt, wenn wir niemanden mehr brauchen und niemand uns, weil wir Beziehungen durch Dienstleistungen ersetzt haben, fühlen wir uns einsam und isoliert. 

Wenn wir glauben, dass nicht genug für alle da ist und ein ständiger Kampf herrscht, bei dem jeder nur darauf bedacht ist, mehr für sich selbst rauszuschlagen, befördert das Angst, Gier und Konkurrenzdruck.

Wenn sich alles immer mehr beschleunigt, immer „effizienter“ werden muss, –davon können die Gesundheitsberufe ja ein Lied singen– fühlen wir uns gestresst und erschöpft. 

Einsamkeit und chronischer Stress sind Gift für unsere Gesundheit, tragen zu psychischen Belastungen bei und beeinträchtigen das Immunsystem.

Wir verbiegen uns, wir entziehen uns das, was unsere menschliche Natur braucht, basierend auf einer Illusion, einem Missverständnis von uns selbst und der Welt, wer wir sind als Menschen, wie wir in Beziehung stehen zueinander und zur Natur. 

Wenn wir also tief genug graben, sehen wir, dass die Wurzeln der planetaren Krise in unserem Weltbild und Menschenbild liegen, und identisch sind mit zahlreichen Wurzeln der Gesundheitskrise! 

Wir brauchen ein neues, oder eigentlich uraltes Weltbild der Verbundenheit, denn das aktuelle Weltbild verursacht und verschlimmert die Krisen. Wir brauchen ein neues Verständnis von uns selbst und unserer eigenen Lebendigkeit, unseren Bedürfnissen als Lebewesen, unserer Beziehung zu anderen Lebewesen und der Erde. Wir brauchen eine Art Renaissance der Verbundenheit.

2. Mitfühlen: Liebe zum Leben

Und das ist dann eigentlich gar nicht so sehr Hirn und Denken, sondern sehr viel Herz und Fühlen. Der zweite Begriff vom Dreiklang Hirn, Herz und Hand.

Es geht nicht nur um ein Um-Denken, sondern um das Fühlen von Verbundenheit. Es geht darum, wie wir die Liebe zum Lebendigen, zur Mutter Natur wieder erwecken, unser Mitgefühl mit den anderen Wesen, unseren Geschwistern. 

Mit Mutter Natur, die uns so reich beschenkt mit Luft, Wasser und Nahrung, mit Schönheit, mit allem was wir brauchen – was wir lange für selbstverständlich halten und erst bemerken, wenn sie nicht mehr kann, weil wir sie so sehr geschädigt und aus dem Gleichgewicht gebracht haben.

Vielleicht kann diese Liebe wieder wachsen, wenn wir die Natur, die Erde nicht als Objekt betrachten, sondern als lebendig. Wenn wir wirklich in Beziehung treten, die Verbundenheit spüren am eigenen Leib, im Wald, im Garten, am Meer, die Schönheit und Ruhe spüren, die Freude, wie wir dabei selbst lebendig werden. Wenn wir das Leben als ein wunderbares Geschenk sehen, staunen und tiefe Dankbarkeit spüren.

Der Liebende wird das geliebte Wesen schützen und bewahren wollen, hegen und pflegen, alle seine Kräfte aufwenden, um es zu retten, lebendiger zu machen, seine Schönheit zu mehren. Wenn wir lieben, ist uns das ein inneres Bedürfnis und macht uns glücklich. 

Wer z.B. ein Kind liebt, scheut keine Mühen, damit es ihm gut geht und es sich gut entfalten kann, der empfindet das nicht als Verzicht, sondern durch die Verbundenheit der Liebe ist das Glück des Kindes auch das eigene Glück. Man kann das Leben des Kindes mit keinem Geld der Welt aufwiegen, denn es ist uns heilig. 

Wenn wir das Lebendige, die Natur um uns und in uns wieder heiligen, können wir die Wunden der Trennung heilen, Teil eines Ganzen sein, wieder zu einem Ganzen werden.

Es geht bei der planetaren Krise nicht nur darum, die Zerstörung der Natur auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, weniger zu schaden, weniger negativ zu wirken als Menschheit, sondern es geht darum, positiv zu wirken, zu heilen, aus Liebe zum Leben.

3. Handeln: Heilung

Und damit sind wir vom Hirn und Herz zur Hand und zum Handeln gelangt. Zur Heilung, zur Regeneration, von Menschen, Ökosystemen und ihren Beziehungen. 

Wenn wir das alte Weltbild abschütteln, sehen wir ganz klar: Wir sind keine machtlosen, getrennten Wesen, wir sind zusammen sehr machtvoll! Diese Gestaltungs-Macht beim gemeinsamen Handeln haben viele von uns ja in den letzten Jahren mit KLUG erfahren.

Das kann sehr inspirierend sein und enorme Kräfte freisetzen, aber es ist weder schmerzfrei noch konfliktfrei. Wir brauchen viel Geduld, Mitgefühl und Kreativität beim gemeinsamen Ringen um Lösungen. Die Pfade sind oft unklar und holprig, die Lage chaotisch, aber mit den Augen auf unserem Leitstern können wir zusammen gangbare Wege finden.

Die Welt der Ganzheit und Schönheit ist nicht weit weg irgendwo, sondern ganz nah, in und um uns, sie ist nur unsichtbar aus Perspektive des gegenwärtigen Welt- und Menschen­bilds. Aus der neuen Perspektive wird sie sichtbar und greifbar.

Wir brauchen also ein Umdenken, Mitgefühl und ganz praktisch auch eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft, eine Art Kulturwandel.

Wie gehen wir mit den Kindern um und ihren Bedürfnissen, wie mit den Alten? Mit der Arbeits­welt mit ihrem Effizienz- und Konkurrenzdruck und ihren Hierarchien (gerade auch im Gesundheits­system)? Was braucht es für mehr Mitgestaltung, mehr Gemeinwohl? Welche Art von Wirtschaftssystem wollen wir? Wie schaffen wir es, dass wir wieder mehr Zeit füreinander haben, Zeit in der Natur, für Muße und Kreativität, für Beziehungen, aus denen letztendlich das Leben besteht? Wie kommen wir zu weniger Stress und Druck, zu mehr Verbundenheit und Heilung von Mensch und Erde?

Ich wünsche mir, dass die Gesundheitsberufe sich nicht nur um die Folgen der planetaren Krise kümmern, sondern auch um die Wurzeln, gemeinsam mit anderen Berufsgruppen.

Dass wir gemeinsam zu Planetary Healing beitragen, zu Erneuerung und Heilung nicht nur auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher und planetarer Ebene. 

Vielen Dank!