Bis zu 827.000 unbekannte Viren haben das Potenzial, auf den Menschen überzuspringen.
Drei von vier der neu entstehenden oder sich gerade entwickelnden Infektionskrankheiten auf der Erde haben in Tieren ihren Ursprung – das schätzt das US-amerikanische “Center for Disease Control and Prevention”. Auch der Erreger von COVID-19 – SARS-CoV-2 – wurde von Wildtieren übertragen, möglicherweise auf einem „wet market“ im chinesischen Wuhan. Nach dem SARS-Ausbruch, vor 18 Jahren, waren diese beliebten Märkte für Wildtierfleisch geschlossen, aber schon nach wenigen Monaten wieder eröffnet worden. SARS war von Fledermäusen über Schleichkatzen auf den Menschen übergesprungen. Für das „Corona-Virus“ SARS-CoV-2 werden Schuppentiere und Fledermäuse diskutiert.
Schätzungen zufolge gibt es über 1,6 Millionen unbekannte Viren in Säugetieren und Vögeln, von denen etwa 35 bis 50 Prozent das Potenzial haben, auf den Menschen überzuspringen.1 Die Wahrscheinlichkeit für diese sogenannten Spillover ist auf Märkten durch die unnatürliche Nähe zu anderen Tieren und den Stress besonders hoch, besteht aber auch überall dort, wo natürliche Habitate vom Menschen zerstört werden, durch Siedlungen oder Landwirtschaft. Durch den Bevölkerungswachstum und den steigenden Konsum dringt der Mensch immer weiter in die natürlichen Lebensräume der Wildtiere vor. Der erhöhte Kontakt mit den Menschen bietet den Viren besonders viele Möglichkeiten, erfolgreich zu mutieren und genetische Information auszutauschen.
„Der Wildtierhandel muss aufhören. Verbieten sollte man vor allem Märkte in Großstädten, dort, wo die Menschen nicht darauf angewiesen sind, Wildtierfleisch zu essen“, sagt Chris Walzer, Leiter des Gesundheitsprogrammes der Wildlife Conservation Society (WCS).
„Wir sollten auf keinen Fall den Fehler machen zu glauben, wir könnten uns vor Pandemien schützen, indem wir uns der Wildtiere entledigen“, sagt Kim Grützmacher, ebenfalls von der WCS. „Wildtiere sind wichtige, integrale Bestandteile von Ökosystemen, die für saubere Luft oder auch die Speicherung von Kohlendioxid unabdingbar sind. Fledermäuse zum Beispiel bestäuben Pflanzen und vertilgen Schädlinge. Besser wäre es, den Kontakt so gering wie möglich zu halten und die Tiere nicht zu stressen. Außerdem sollte die Gesundheit von Wildtieren besser überwacht werden, einschließlich der Identifikation der Viren die sie tragen, damit wir entsprechende Schutzmaßnahmen entwickeln können.“
Der Mensch setzt sich durch seine Umweltzerstörung selbst großen Risiken aus, betont auch Thomas Gillespie, Professor für Umweltwissenschaften an der Emory University in Atlanta/USA im britischen „Guardian“. „Wir leben in einer Zeit der ständigen Alarmbereitschaft“, wird dort auch Brian Bird zitiert, Virologe an der Universität von Kalifornien. Ohne Nahrungsmittelsicherheit für Entwicklungs- und Schwellenländer, sind sich die Experten einig, bleibt das Risiko groß. Interdisziplinäre Wissenschaftler der internationalen Umwelt-NGO CSIRO haben gemeinsam mit Forschern der Sapienza Universität in Rom an Regierungen und Öffentlichkeit appelliert, diesen Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und dem Aufkommen gefährlicher Infektionskrankheiten anzuerkennen und entsprechend zu handeln.2 Sie haben auch betont, wie wichtig neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit in Forschung und Politik sind.
Aus Deutschland gibt es ähnliche Aufrufe: Im vergangenen Oktober fand in Berlin die Veranstaltung „One Planet, One Health, One Future“ statt – eine gemeinsame Initiative der internationalen Naturschutzorganisation Wildlife Conservation Society und dem Auswärtigen Amt. Die Veranstaltung brachte Expert:innen aus Pandemieprävention und der Schnittstelle von Klimawandel und Gesundheit und anderen Bereichen der globalen (planetaren) Gesundheit zusammen. Ihr Call to Action, die „Berlin Principles“ mit der Aufforderung, die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammenzudenken und die Auswirkungen von Umweltzerstörung auf die Gesundheit ernst zu nehmen, wird nach der Corona-Pandemie hoffentlich ernster genommen.
Kontakt:
KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.
Martin Wilmen, Büroleiter
martin.wilmen@klimawandel-gesundheit.de
Tel. +49 177 2847467
Quellen:
1) The Global Virome Project Dennis Carroll, Peter Daszak, Nathan D. Wolfe, George F. Gao, Carlos M. Morel, Subhash Morzaria, Ariel Pablos-Méndez, Oyewale Tomori and Jonna A. K. Mazet Science 359 (6378), 872-874. DOI: 10.1126/science.aap7463
2) https://www.pnas.org/content/117/8/3888