Präambel
Das Gesundheitssystem verursacht mehr als 6 Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland und verbraucht heute 80 Prozent mehr Rohstoffe als Mitte der 1990er-Jahre, mit steigender Tendenz. Medikamente und Medizinprodukte sichern die Versorgung und haben gleichzeitig einen wesentlichen Anteil am CO₂-Fußabdruck Deutschlands. Ein Beispiel für Medikamente, die einen Einfluss auf den Klimawandel haben, sind Inhalativa, die bei rund 10 Millionen Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen in Deutschland verabreicht werden.
Herausforderung bei Inhalativa
Zur Behandlung chronischer Atemwegserkrankungen (Asthma und chronische Bronchitis) werden vorrangig inhalative Arzneimittel eingesetzt. Dabei wird zwischen Pulverinhalatoren (dry powder inhaler, DPI), die den Wirkstoff in Pulverform enthalten, und Dosieraerosolen (metered dose inhalers, MDI) unterschieden. Letztere nutzen Treibmittel, mit Ausnahme der Soft-Mist-Inhaler-Technologie (SMI), um den Wirkstoff in tiefe Lungenabschnitte zu transportieren.
Aktuell handelt es sich bei diesen Treibmitteln um starke Treibhausgase, die ein sehr hohes Erderwärmungspotenzial für die Atmosphäre aufweisen. Neue Treibmittel mit deutlich geringerem Schädigungspotenzial befinden sich in Entwicklung und kommen erst in den nächsten Jahren auf den Markt.
Zusätzlich zählen die Treibmittel in Dosieraerosolen zur Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), sogenannte “Ewigkeitschemikalien”, deren atmosphärische Abbauprodukte sich in der Umwelt anreichern können. Die Hersteller arbeiten aktiv an der Entwicklung alternativer Treibmittel, um diese Auswirkungen zu minimieren1.
Aktuelle Versorgungslage und internationale Perspektive
Für die Versorgung von Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen existieren Leitlinien (Nationale Versorgungsleitlinien Asthma2 und COPD3 sowie S2k-Leitlinie Klimabewusste Verordnung von Inhalativa4), die zeigen, dass bei korrekter Anwendung eine mindestens gleichwertige Wirksamkeit einer Therapie erreicht werden kann, unabhängig davon, ob ein Dosieraerosol oder Pulverinhalator verwendet wird. Internationale Beispiele zeigen, dass eine Reduktion des Anteils von Dosieraerosolen möglich ist, ohne die hohe Versorgungsqualität zu beeinträchtigen. In Schweden werden beispielsweise weniger als 20 Prozent der Inhalativa als Dosieraerosole verordnet, während in Deutschland der Anteil bei etwa 50 Prozent liegt. Zudem wird eine zu häufige Verwendung von Dosieraerosolen und kurzwirksamen Beta-Mimetika beklagt.
Aktionsbündnis
Klimaschutz sollte mit der Sicherstellung und Verbesserung der Versorgungsqualität Hand in Hand gehen. In unserem Aktionsbündnis finden sich in diesem Sinne Institutionen und Organisationen zusammen, die sich für Klimaschutz bei der Versorgung mit Inhalativa einsetzen und gleichzeitig die Verbesserung der Versorgungsqualität und -sicherheit von Patient:innen fördern. Dies kann zum Beispiel erreicht werden durch:
1. Optimierte individualisierte Therapie
- Patient:innenzentrierung und Krankheitskontrolle
Die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten von Patient:innen stehen im Vordergrund. Da nicht alle Patient:innen Pulverinhalatoren nutzen können, wird das passende Inhalationssystem für eine optimale Therapie ausgewählt. Zudem können durch die bestmögliche Kontrolle des Krankheitsstatus‘ und die Vermeidung von Exazerbationen die Belastungen für Klima und Umwelt am besten minimiert werden. Hierbei spielen Präventions- und Schulungsmaßnahmen und die Verordnung von Fixkombinationen eine zentrale Rolle. - Leitliniengerechte Therapie
Pulverinhalatoren haben einen erheblich geringeren CO₂-Fußabdruck als die momentan verfügbaren Dosieraerosole, da sie ohne klimaschädliche Treibgase auskommen. Ziel ist es, Pulverinhalatoren anstelle von Dosieraerosolen einzusetzen, sofern sie für die Patient:innen geeignet sind. Bei der Verwendung von Dosieraerosolen sollen zukünftig Inhalatoren mit neuen, weniger klimaschädlichen Treibgasen berücksichtigt werden. Zusätzlich sollen kurzwirksame Beta-Mimetika seltener als Dosieraerosole verwendet werden. - Optimierung der Inhalationstechnik und Schulungen
Die richtige Anwendung der Inhalativa steigert den Therapieerfolg, reduziert unnötigen Medikamentenverbrauch und die damit verbundenen Emissionen. Bei Bedarf sollen Hilfsmittel wie Spacer eingesetzt werden. Schulungen können die Adhärenz fördern und den Bedarf an Notfallmedikamenten verringern.
2. Förderung von Forschung und Entwicklung
- Anwendungs-, Implementierungs- und Praxisforschung
Um die Verbesserung der Anwendungen von Inhalativa mit gleichzeitigem Klimaschutz zu verbinden, werden Forschung zur Pathophysiologie der Aerosolmedizin sowie die Umsetzung in den medizinischen Alltag für Expert:innen wie für betroffene Patient:innen unterstützt. - Umweltfreundlichere Treibmittel
Die Entwicklung neuer Treibmittel mit niedrigem Erderwärmungspotential soll im Einklang mit der EU-F-Gas-Verordnung unterstützt werden.
3. Ganzheitliche Umweltbetrachtung
- Lebenszyklusanalyse
Unter Berücksichtigung des Nutzens für Patient:innen und Klima- und Umweltauswirkungen soll der gesamte Lebenszyklus der Inhalationssysteme einschließlich Herstellung, Nutzung und Entsorgung betrachtet werden. - Recycling und Entsorgung
Programme zur umweltgerechten Entsorgung und zum Recycling von Inhalatoren werden unterstützt.
4. Prävention
- Prävention und Aufklärung
Programme zur Raucherentwöhnung sollen intensiviert werden, und es wird über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens aufgeklärt, um langfristig die Prävalenz von obstruktiven Atemwegserkrankungen zu reduzieren. Der präventive Stellenwert von Bewegungs- und aeroben Trainings- und Entspannungsmaßnahmen wird aktiv kommuniziert und gefördert. - Reduktion von Luftverschmutzung und Feinstaub
Wir unterstützen weitere Maßnahmen zur Verminderung der Luftverschmutzung und der Feinstaubbelastung, z.B. durch fossilen Verkehr und Holzverbrennung.
Die Unterzeichnenden erkennen an, dass diese Vorhaben eine umfassende Zusammenarbeit aller Beteiligten erfordert – einschließlich Patient:innen, medizinischem Fachpersonal, Industrie und politischen Entscheidungsträgern. Gemeinsam setzen wir uns für eine Zukunft ein, in der Gesundheitsversorgung, Klimaschutz und Umweltschutz Hand in Hand gehen.
[1] Inhalative Arzneimittel sind essenziell für die Behandlung von Asthma und COPD. Unter diesen Medikamenten haben Dosieraerosole (MDIs) aufgrund der verwendeten Treibmittel einen noch höheren CO₂-Fußabdruck als Pulverinhalatoren (DPI). Die als Treibmittel genutzten teilfluorierten Kohlenwasserstoffe (HFKW-227ea und HFKW-134a) sind starke Treibhausgase mit einem globalen Erwärmungspotenzial (= global warming potential, GWP) von 3.220 (HFKW-227ea) bzw. 1.430 (HFKW-134a). Zum Vergleich: Kohlendioxid hat ein GWP von 1. Ein einzelnes Dosieraerosol kann je nach Treibmittel und Füllmenge Emissionen von bis zu 500 Gramm CO₂-Äquivalent verursachen. Die Verwendung neuer Treibmittel mit deutlich geringerem GWP, wie HFKW-152a (GWP von 124) und HFO-1234ze(E) (GWP von 1,37), befindet sich in Entwicklung und wird zukünftig die Versorgung mit Dosieraerosolen mit deutlich geringerem GWP ermöglichen. Die EU-F-Gas-Verordnung (Verordnung (EU) 2024/573) fördert diese Innovationen, indem sie die schrittweise Reduzierung klimaschädlicher teilfluorierter Kohlenwasserstoffe (HFKW) als Treibmittel in MDI ab 2027 vorgibt. Ab 2030 wird der sog. Phase-Down deutlich forciert, bis ab dem Jahr 2050 keine klimaschädlichen HFKW mehr in den EU-Markt eingeführt bzw. verwendet werden dürfen.
[2] https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-002l_S3_Asthma_2020-09.pdf
[3] https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-003k_S3_COPD_2021-09.pdf
[4] https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-059
Erstunterzeichnende Organisationen
Mitglieder des Aktionsbündnisses sind mit einem * gekennzeichnet.
Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. *
BKK Dachverband *
Bundesarbeitsgem. Pädiatrische Pneumologie
Bundesv. der Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin
Chiesi
ClimateFriendlyHospital Havelhöhe *
KLUG *
Deutsche Atemwegsliga *
DNRfK
D. Ges. für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) *
D. Ges. für Innere Medizin (DGIM) *
D.Ges. für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) *
D.Ges. für Thoraxchirurgie (DGT)
Deutscher Apothekerverband
Die BrückenKöpfe *
Forschungsinstitut Havelhöhe *
Ges. für Gesundheit und Prävention Havelhöhe
Ges. für Pädiatrische Allergie und Umweltmedizin
Ges. für Pädiatrische Pneumologie
Gesunde Erde Gesunde Menschen
Hartmannbund
Hausärztinnen- und Hausärzteverband
KliMeG *
Landesärztekammer Baden-Württemberg *
Orion Pharma GmbH
Pharmacists for Future
Umweltbundesamt *
Verband medizinischer Fachberufe *
Dr. Eric Martin *
Dr. Kerstin Kemmritz *
Dr. Regina Klakow-Franck *
39 Organisationen und Personen haben die Stellungnahme bereits unterzeichnet.
Kontakt
Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an christian.grah@klimawandel-gesundheit.de.
Organisationen und Privatpersonen sind eingeladen sich der Stellungnahme anzuschließen und mit ihrer Unterschrift den Forderungen Nachdruck zu verleihen:
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