Energie- und Klimakrise zeigen, dass die industrielle Landwirtschaft an ihre Grenzen geraten ist. Ernten verdorren, Äcker fallen trocken, weil es an Wasser fehlt. Das und der Krieg in der Ukraine lassen die Preise für Grundnahrungsmittel explodieren. Die Zahl der Hungernden auf der Erde steigt immer weiter. Expert:innen aus Gesellschaft, Politik und Wissenschaft suchen auf einem Online-Symposium nach Antworten.
Fast 10% der Weltbevölkerung ist unterernährt. Gleichzeitig wird ein Drittel der weltweit verfügbaren Kalorien an Nutztiere verfüttert und rund 80% der landwirtschaftlichen Flächen werden für die Herstellung von tierischen Lebensmitteln genutzt. Damit trägt der hohe Konsum tierischer Lebensmittel auch maßgeblich zu Klimakrise und Artensterben bei. Ungefähr ein Drittel aller menschlichen Treibhausgasemissionen ist unserer Ernährung zuzuordnen. Damit wird sie zu einem weiteren Risikofaktor für die Gesundheit.
Bei einem Ernährungssymposium der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) diskutieren seit gestern Expert:innen aus den verschiedensten Bereichen darüber, wie das Agrar- und Ernährungssystem erfolgreich transformiert werden kann. Martin Frick, Direktor des UN-Welternährungsprogramms für Deutschland, Österreich und Liechtenstein, wies auf die wichtige Rolle der bäuerlichen Landwirtschaft in der ganzen Welt hin: „80% der Menschen, die an Hunger leiden, sind Kleinbauern. Gleichzeitig trifft die Klimakrise sie mit voller Wucht. Diesen Menschen müssen wir helfen, Land wieder nutzbar zu machen, Ackerbau zu betreiben und so Ernährung zu sichern. Dann gehen wir auch einen großen Schritt in Richtung echter Klimagerechtigkeit, die bei den Ärmsten ansetzt.“
Benjamin Bodirsky, Wirtschaftsökologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, betonte: „Ernährungskrise und ökologische Krise dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir müssen beide Krisen lösen, und zwar zugleich, ohne Aufschub. Drei wichtige Maßnahmen sind: arme Konsument:innen weltweit unterstützen, zum Beispiel durch Transferzahlungen; Umweltverschmutzung mit einem Preis versehen, damit Landwirte, die nachhaltig wirtschaften, einen Wettbewerbsvorteil haben – zum Beispiel. durch eine Stickstoffüberschussabgabe.“ Deutlich müsse der Verzehr von Fleisch und Käse reduziert werden, um Treibhausgase zu reduzieren und die Knappheit auf den Agrarmärkten zu entspannen. Öffentliche Kantinen sollten nicht nur gesunde, sondern auch klimaneutrale Menüs anbieten.
Die Transformation des Nahrungsmittelmarktes hätte viele Vorteile: In den Industrieländern, aber zunehmend auch in Asien nehmen Krankheiten wie Diabetes mellitus, Lungen- und Herz-Kreislaufleiden sowie Krebserkrankungen zu. In Europa sind mittlerweile 25% aller vorzeitigen Todesfälle auf eine Fehlernährung zurückzuführen.
„Neben dem menschlichen Leid geht dies mit erheblichen Belastungen für die Gesundheitssysteme und Verlusten an gesunden Lebensjahren einher“, erklärte Martin Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. „Ein Großteil dieser Krankheiten wäre dabei durch gesundheitsförderliche Ernährungssysteme vermeidbar. Daraus ergibt sich dringender politischer Handlungsbedarf“.
Auch das Risiko für Pandemien ließe sich durch eine Umstellung unserer Ernährungs- und Agrarsysteme senken. Neben Tierhandel sind Massentierhaltung, Veränderungen ökologischer Kreisläufe sowie ein Verlust an Biodiversität wesentliche Risikofaktoren.
Simone Sommer, Expertin für Zoonosen und Direktorin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Universität Ulm erklärte dazu: „31% der Krankheitsausbrüche durch Zoonosen sind eine unmittelbare Folge von Abholzung und dem damit verbundenen Verlust an Biodiversität, wie beispielsweise im Amazonasgebiet für den Sojaanbau.“
Eingeladen zu diesem Symposium hatte die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Sie stellt ab dem 29. September eine Aufzeichnung auf YouTube zur Verfügung.